Wie die chinesische Mega-App TikTok Indiens Wahlkampf beeinflussen könnte
The article by Frederic Spohr was published in Handelsblatt on March 13, 2019. Shweta Mohandas was quoted.
Angela Merkel spricht Hindi, zumindest auf der chinesischen Social-Media-App TikTok. In einem Satire-Video steht die Bundeskanzlerin neben dem indischen Premierminister Narendra Modi – und erklärt dem indischen Regierungschef, dass sie ihn gerne heiraten und mit ihm für immer zusammenleben will. Das sagt Merkels indische Synchronstimme. Die App TikTok, mit der Nutzer selbst gedrehte oder bearbeitete Kurzvideos teilen, ist die derzeit wohl erfolgreichste App der Welt. Das dahinter stehende Start-up Bytedance wird mit umgerechnet 66 Milliarden Euro so hoch bewertet ist wie kein anderes junges Unternehmen. Indien ist dabei der mittlerweile wichtigste Auslandsmarkt für die Chinesen. Mehr als 250 Millionen Inder haben die App bereits heruntergeladen. Monatlich kommen Dutzende weitere Millionen dazu.
Doch der Erfolg der chinesischen App hat auch Ängste geweckt. Ab dem 11. April wird auf dem Subkontinent ein neues Parlament gewählt – und wie in vielen anderen Ländern wächst in Indien die Sorge, dass über Social-Media-Plattformen Wahlen manipuliert werden, zum Beispiel weil darüber Falschnachrichten verbreitet, geheime Wählerprofile angelegt oder die Plattformen für Spionage genutzt werden könnten. Das gilt nun nicht mehr nur für Facebook oder Twitter, sondern auch für TikTok – und wegen seiner chinesischen Herkunft vielleicht insbesondere dafür.
Dass TikTok aus China kommt, ist problematisch, weil es bezüglich Datensammlung und -verarbeitung weniger transparent als andere Social-Media-Apps ist“, sagt Shweta Mohandas, Politik-Beauftragte beim Centre for Internet and Society (Cis) in Bangalore.
Der Subkontinent wird so zu einem Testfall für die wachsende politische Bedeutung chinesischer Social-Media-Apps im Ausland. TikTok ist auch in Amerika und Europa bereits weit verbreitet – und hat bereits Kritiker alarmiert. „Die Reichweite dieser Apps zu ignorieren, wäre ein fataler Fehler“, warnt Claudia Biancotti, leitender Ökonom am amerikanischen Thinktank Peterson Institute for International Economics in einem Blogbeitrag über TikTok.
Für Biancotti ist der Umgang mit chinesischen Social-Media-Apps von ähnlich großer Bedeutung wie der Umgang mit dem chinesischen Mobilfunkausrüster Huawei. „Die Tiefe der gesammelten Nutzerdaten machen sie zu sehr wirksamen Instrumenten sowohl für die Spionage als auch für die Manipulation der öffentlichen Meinung.“ Fünf der zehn beliebtesten Apps im indischen Android-Appstore kamen 2018 bereits aus China.
Anzahl politischer Videos nimmt zu
TikTok wirkt vollkommen unpolitisch. Wie in Deutschland überwiegen auch in Indien kurzweilige Witzvideos und private Videoclips. Die meisten Inhalte auf der App sind Musikvideos von Jugendlichen, die mit Effekten aufgehübscht werden. Auch das Merkel-Video ist kein Manipulationsversuch und dürfte für die meisten als klare Satire erkennbar sein.
Doch die Anzahl politischer Videos auf TikTok hat in Indien vor den Wahlen stark zugenommen: Viele junge Menschen erklären beispielsweise, warum sie welchen Politiker wählen werden. Videos mit dem Hashtag NarendraModi wurden fast 30 Millionen mal angesehen, Clips zu seinem Herausforderer Rahul Gandhi wurden rund 12 Millionen Mal angeguckt.
Viele junge Menschen verwenden TikTok und soziale Medien, um mit der Welt zu kommunizieren. Die politischen Parteien haben das erkannt und versuchen, auf die Erstwähler Eindruck zu machen“, sagt Cis-Expertin Mohandas.
Besonders beliebt ist die App auf dem Land. In der Provinz leben die meisten Inder, gleichzeitig ist hier der Bildungsstandard besonders gering. Diese Zielgruppe dürfte am einfachsten zu manipulieren sein.
Subtile Beeinflussung möglich
Eine Beeinflussung könnte theoretisch so subtil verlaufen, dass sie kaum zu überprüfen ist. Möglich wäre beispielsweise ein Szenario, bei dem auf Druck der chinesischen Regierung die Algorithmen so geändert werden, dass Nutzer bestimmte Inhalte verstärkt gezeigt bekommen – oder dass unliebsame Inhalte überhaupt nicht angezeigt werden. In China selbst filtert die heimische App WeChat bereits kritische Inhalte heraus, ohne Sender oder Empfänger zu benachrichtigen.
Wie in Deutschland wurde in Indien bisher bezüglich TikTok vor allem über den Schutz der Privatsphäre von Kindern gesprochen. Die Jugendlichen präsentieren sich in den Videos oft in freizügigen Posen, die Pädophile anlocken könnten. Die generelle Datenschutzproblematik aufgrund des chinesischen Ursprungs des Unternehmens und die mögliche Verbreitung von Falschnachrichten gerät nun aber immer stärker in den Fokus.
Das indische IT-Ministerium kündigte bereits im Februar eine stärkere Regulierung der Social-Media-Apps an. Einflussreiche Hindu-Nationalisten haben sich sogar für ein Verbot der chinesischen Apps ausgesprochen. Die Angriffe dürften dabei auch wirtschaftliche Hintergründe haben: Angesichts der chinesischen und amerikanischen Dominanz geraten indische Konkurrenzangebote immer stärker ins Hintertreffen.
TikTok selbst wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe. Es verweist darauf, sich an alle aktuellen Gesetze zu halten und die Inhalte auf der Plattform in zahlreichen Landessprachen zu überwachen. „Die Privatsphäre und Sicherheit unserer Benutzer hat für TikTok höchste Priorität, und wir halten uns an die lokalen Gesetze und Vorschriften in den Märkten, in denen wir tätig sind“, teilt das Unternehmen dem Handelsblatt mit. „TikTok-Benutzerdaten werden in den USA und anderen Märkten, in denen TikTok über branchenführende Rechenzentren von Drittanbietern tätig ist, gespeichert und verarbeitet.“
Rückendeckung bekommt das Unternehmen von der chinesischen Regierung. In einem Artikel der englischsprachigen Parteizeitung „Global Times“ heißt es, TikTok werde von Amerika wie Huawei als Sicherheitsrisiko dargestellt, um Chinas technologischen Aufstieg zu verhindern. TikTok sei nur eine „Unterhaltungs-App für Menschen auf der ganzen Welt, die Spaß und Entspannung wollen“.